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Interview

Interview mit Esther Sedlaczek

Sport-Expertin Esther Sedlaczek auf neuen Wegen

Esther Sedlaczek

©Sebastian Reuter/Getty Images for A&amp

Sport ist ihr Spezialgebiet und vor allem im Bereich Fußball kennt sie sich bestens aus: TV-Moderatorin Esther Sedlaczek. Die 32-Jährige begibt sich nun aber beruflich auf neues und höchst spannendes Terrain! Sie ist die Protagonistin von „Total Control – Im Bann der Seelenfänger“. Mit seiner neuen deutschen Eigenproduktion zeigt der TV-Sender A&E, wie leicht Menschen von Fanatikern, Autokraten und Populisten geblendet und verführt werden können. Welche Anziehungskraft besitzen Totalitarismus und extremer Glaube und welche Parallelen lassen sich bei all diesen zerstörerischen Gruppen erkennen? Dieser Frage geht Esther Sedlaczek in der neuen 45-minütigen Dokumentation auf den Grund und schlüpfte dafür in die Rolle der Reporterin. Für die TV-Doku, die am 19. November um 21 Uhr bei A&E im Rahmen der Themenwoche „Twisted Faith – Macht und Manipulation“ erstmals ausgestrahlt wird, traf sie Sektenaussteiger, Opfer radikaler Ideologien und totalitärer Systeme: Zu Beispiel das ehemalige ranghohe Scientology-Mitglied Wilfried Handl, die al-Qaida-Aussteiger Irfan Peci und Eren Recberlik, den ehemaligen Neo-Nazi Oliver Riek sowie das Stasi-Opfer Edda Schönherz: eine TV-Moderatorin, die in er DDR drei Jahre lang für ihren Ausreisewunsch nach Westtdeutschland inhaftiert wurde. Zudem kommen Experten, die auf dem Gebiet der Massenpsychologie und Sektenforschung tätig sind, zu Wort. Wir haben Esther Sedlaczek – sie ist übrigens die Tochter von Schauspieler Sven Martinek – in ihrer Wahlheimat München, wo sie die einstündige Doku mit Autor, Regisseur und Produzent Emanuel Rotstein (u.a. „Guardians of Heritage“, „Die Befreier“, „Der elfte Tag“) erstmals vorstellte, zum Interview getroffen.

Man kennt Sie aus dem Sport, jetzt interviewen Sie ehemalige Sektenmitglieder und Opfer anderer „Seelenfänger“. Wie kam es dazu, dass Sie das Genre gewechselt haben?

Esther Sedlaczek: „Ich würde sagen, dass ich mein Portfolio erweitert habe. Denn es war schon immer mein Wunsch, mich noch ausführlicher mit Menschen zu beschäftigen – und auch mit deren Geschichte. Jetzt hatte ich die Gelegenheit dazu, und das Format passte perfekt. Noch mehr, als ich es erwartet hatte, denn es beschäftigt sich mit den Abgründen des Menschen. Zum Beispiel mit Oliver Riek, einem Aussteiger aus der Neo-Nazi-Szene. Vor ein paar Jahren war er noch der Meinung, dass Ausländer und Juden kein Recht auf Leben haben. Ich fand es wahnsinnig reizvoll, etwas über die Beweggründe einer solchen Person, sich einer radikalen Gruppierung anzuschließen, zu erfahren: ‚So habe ich damals gedacht, so bin ich da wieder heraus gekommen und aus diesem Grund bin ich überhaupt erst abgedriftet‘. Ich habe dabei sehr viel über die Psyche des Menschen gelernt. Das war spannend, aber auch anstrengend. Ich bin aus jedem Interview mit einem rauchenden Kopf rausgegangen, weil es so viele Eindrücke waren. Aber es war sehr befriedigend.“

Welcher Aspekt bzw. welcher Fall hat Sie besonders gereizt?

Esther Sedlaczek: „Als der Produzent Emanuel Rotstein und ich über das Format gesprochen haben, standen die einzelnen Fälle und die Protagonisten noch gar nicht fest. Es ging vielmehr darum, generell die Beweggründe dieser Personen ausfindig zu machen. Und allein das fand ich spannend. Und auch die Tatsache, sich intensiv mit jeder einzelner dieser Personen zu beschäftigen. Wir haben uns für jedes Interview einen ganzen Tag lang Zeit genommen. Das war ein Kontrastprogramm zum Fußball, wo ich in der Regel Vier-Minuten-Interviews führe. Es waren sehr intensive Auseinandersetzungen und ging sehr in die Tiefe.“

Warum, glauben Sie, begeben sich Menschen in diese Abhängigkeiten?

Esther Sedlaczek: „Ich denke, alle haben die Gemeinsamkeit, dass ihnen etwas gefehlt hat. Halt oder Stärke. Oliver Riek zum Beispiel fehlte die Vaterfigur. Sein Großvater war in der Wehrmacht und wurde von ihm glorifiziert. Bei dem ehemaligen Scientology-Mitglied Wilfried Handl verhielt es sich anders: Er besuchte einen Rhetorikkurs der Sekte, wandte die Methoden danach an und die Leute sagten zu ihm: ‚Du bist jetzt viel selbstbewusster‘. Deshalb absolvierte er den nächsten Kurs – und steckte dann tief in der Nummer drin. Es ist also eine individuelle Sache. Aber in der Regel glaube ich, dass wie gesagt der Halt im Leben fehlt. Eine Lücke, die gefüllt werden musste. Oder aber sie haben einfach zur falschen Zeit die falschen Menschen getroffen. Menschen, die ihnen ein Machtgefühl vermittelten. Das Gefühl, zu einer Gruppe dazu zu gehören. Eine Gruppe, die etwas Großes vorhat und deren Mitglieder auserwählt sind.“

Sie haben auch ein ehemaliges Stasi-Opfer interviewt.

Esther Sedlaczek

©Joerg Koch/Getty Images for A&amp

Esther Sedlaczek: „Ja, Edda Schönherz war die erste Protagonistin, die ich getroffen habe. Sie ist mittlerweile über 70 Jahre alt, eine beeindruckende und sehr starke Frau. Ihre Geschichte war für mich sehr bewegend: was sie alles durchmachen musste! Und das als junge Frau. Sie war damals etwa in meinem Alter und hatte zwei kleine Kinder. Sie hatte eine unglaubliche Stärke und ließ sich nicht brechen. Wir haben sie im ehemaligen Stasi-Gefängnis in Berlin-Hohenschönhausen getroffen, wo sie damals in Untersuchungshaft saß. Wir haben in ihrer Zelle und in dem Frisörraum, in dem sie oft war, gedreht. Wir waren also ganz nah dran. Edda Schönherz war der Sonderfall. Sie musste um ihre Freiheit kämpfen. Sie wollte raus aus der DDR und wurde deswegen festgenommen. Die anderen dachten, sie bekämen Freiheit, begaben sich aber in eine Sekte oder Ähnliches und kamen so in eine Abhängigkeit. Aber irgendwann wurde allen klar: ‚Ich bin nicht frei. Was mache ich hier eigentlich?‘ Es gibt viele Parallelen bei allen Fällen, aber jede der Geschichten ist für sich einzigartig und unterschiedlich. Und alle hatten die gleiche Absicht: anderen zu helfen, da wieder herauszukommen bzw. gar nicht erst hineinzugeraten.“

War es schwer, dass diese Menschen sich Ihnen geöffnet haben und generell an diese heranzukommen?

Esther Sedlaczek: „Alle waren recht offen, da sie ja anderen Menschen in einer ähnlichen Situation helfen möchten: ‚Das ist uns passiert, aber wir sind da auch wieder rausgekommen.‘ Oliver Riek haben wir an einem Ort getroffen, den er früher glorifiziert hat: das ehemalige Reichsparteitagsgelände in Nürnberg; dort also, wo früher Hitler stand und Reden gehalten hat. Jetzt stand Oliver da und sagte: ‚Das kann ich alles nicht mehr nachvollziehen‘. Ein Gänsehautmoment.“

Können Sie persönlich es nachvollziehen, dass diese Menschen sich diesen Gruppen angeschlossen haben?

Esther Sedlaczek: „Ich würde jetzt sagen, dass ich für so etwas nicht anfällig bin. Sekte? Auf keinen Fall! Aber ich denke sehr wohl, dass es theoretisch jedem passieren kann. Denn man kann sich nicht darauf verlassen, dass man in seinem Leben immer alles hat. Und man weiß nie, was die Zukunft bringt. Ich war noch nie in einer Situation, in der mir der Halt gefehlt hat. Aber ich würde mich niemals hinstellen und sagen: ‚Es kann alle anderen treffen, nur mich nicht.‘ Edda Schönherz hat einen wunderbaren Satz gesagt, den sie auf die Demokratie bezogen hat: Demokratie muss man sich erarbeiten und erkämpfen. Man muss Dinge auch immer wieder hinterfragen. Und das gilt auch für sein eigenes Leben. Vielleicht ist man dann davor gefeit, sich in solche Zwänge zu begeben. In ein Leben, bei dem man in ein Korsett geschnürt ist und einem alles vorgeschrieben wird, was man zu tun hat. Einer meiner Interviewpartner, der frühere Islamist Irfan Peci, sagte: „Du bist auf einmal nur noch dabei, alles zu hassen. Das macht dich leer und müde, weil du nur noch hasst.“ Das war für mich eine sehr bemerkenswerte Aussage.“

Glauben Sie, dass das Format dabei helfen kann, Menschen, die auf dem „falschen Dampfer“ sind, auf den rechten Weg zu bringen?

Esther Sedlaczek: „Es kommt wahrscheinlich darauf an, in welcher Phase man diese Menschen antrifft. Wenn sie mittendrin stecken, dann würden sie sich ein solches Format niemals angucken. Denn sie sind so von sich und dieser Sache überzeugt, dass ihnen alles andere als absoluter Unsinn erscheint. Aber ich denke, es gibt diese Chance, wenn man sie in einer Phase antrifft, in der die ersten Zweifel aufkommen. Oder eben wenn es Menschen sind, die ganz frisch dabei sind und sich gerade erst verführen lassen. Das ist meine Meinung dazu. Aber ich bin keine Psychologin.“

Welche Rolle, glauben Sie, spielen die Eltern?

Esther Sedlaczek: „Ollis Mutter war alleinerziehend. Meine war ebenfalls allein erziehend, aber dennoch hatte ich nicht das Gefühl, dass meine Mutter nie für mich dagewesen wäre. Ihm hat der Vater gefehlt, und das hat es mit ihm gemacht. Ich würde aber trotzdem niemals den Eltern die Schuld bei so etwas geben. Das wäre zu einfach, denn das ist ein sehr komplexes und sehr individuelles Thema. Es war auch so, dass viele Protagonisten mir erzählt haben, dass ihre Eltern sie zu einem gewissen Zeitpunkt nicht mehr erreicht haben. Aber sie haben meist um ihre Kinder gekämpft. Olivers Familie wollte ihn da rausholen, es ist ihnen aber nicht gelungen. Wilfried Handl hingegen, das ehemalige Scientology-Mitglied, hat erzählt, dass er in einem sehr kalten Umfeld aufgewachsen und nicht viel Liebe erfahren hat. Aber es wäre zu einfach zu sagen: Die Familie ist schuld.“

Was können die Eltern oder die Freunde tun? Können sie überhaupt etwas tun?

Esther Sedlaczek: „Was ich herausgehört habe, ist, dass Familie und Freunde bei solchen Personen kaum Zugriff hatten. Sie wenden sich ab. Aber gerade deswegen sind solche ehemaligen Opfer so wichtig, denn sie erzählen, wie es bei ihnen war.“

Haben Sie im Bekanntenkreis solche Abhängigkeiten erlebt?

Esther Sedlaczek: „Ich habe damit noch gar keine Erfahrungen gemacht. Weder im Freundes- noch im Familienkreis.“

Wie haben Sie sich auf diesen Job vorbereitet?

Esther Sedlaczek: „Ich habe mir die Geschichten der Menschen genau durchgelesen. Am Anfang habe ich mir – da ich es aus dem Sport so kannte –eine Struktur bzw. eine Art Fragenkatalog erarbeitet. Das habe ich dann aber schnell über Bord geworfen. Ich wollte mir nicht zu viele Fragen vornehmen, und am Ende hatte ich gar keinen Fragenkatalog mehr, da ich dachte, ich müsste unvoreingenommen an die Sache herangehen. Das ist mir, hoffentlich, ganz gut gelungen. Ich bin nicht mit in das Gespräch gegangen mit dem Gedanken „Dieser Mensch wollte Anschläge ausüben, was ist das für ein böser Mensch?“. Das Wichtigste war es, Interesse zu zeigen. Ich hätte auch drei Tage da sitzen und mich mit diesem Menschen unterhalten können.“

War das ein einmaliger Ausflug oder werden wir noch mehr in dieser Art von Ihnen sehen?

Esther Sedlaczek: „Ich liebe den Sport und ich liebe den Fußball. Das ist meine große Leidenschaft. Ich bin in der unglaublich glücklichen Situation, beides machen zu dürfen. Ich war noch nie jemand, der etwas forciert hat. Ich war aber immer jemand, der gesagt hat: ‚Ich mache nicht alles, sondern nur die Sachen, die mich interessieren‘. Für Dinge, die mich interessieren, bin ich immer offen. Aber dass ich das Metier komplett wechsle, ist nicht geplant.“

Die letzte Wahl in Bayern hat gezeigt, dass Extrem sich im Aufschwung befindet. Wie erklären Sie sich das?

Esther Sedlaczek: „Wenn ich darauf nur eine Antwort hätte! Wir leben doch in einem Land, in dem wir alles haben. Ich finde es sehr traurig, zu sehen, dass dieses Gedankengut von damals noch vorhanden ist. Wir sind alle gemeinsam dafür verantwortlich, dass alles in die richtige Richtung geht.“

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